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Hört endlich auf, so empathisch zu sein!

So klingen neuerdings die Aufrufe von einigen Vertreter*innen der beruflichen Pflege. Zuviel Empathie hindere die Kolleg*innen, die eigenen Interessen zu vertreten. Was ist dran an dieser Aussage, wie kommt sie zustande und hilft sie wirklich weiter? Ein paar Gedanken über die Empathie im Pflegeberuf.



Eine Frau hält einen Korb mit einer Blattpflanze und einem Kaktus
Sollten wir manchmal doch lieber einen Kaktus verschenken?

Das Wort 'Empathie' wird inflationär gebraucht

Das Wort wird zu häufig und in allen möglichen Zusammenhängen benutzt. Einrichtungen schalten Stellenanzeigen auf der Suche nach der empathischen Superkraft und umschreiben damit eine ganze Palette von Eigenschaften. Empathische Pflegende sind freundlich und zugewandt, zeigen Mitgefühl, lesen Patient*innen im Krankenhaus oder Bewohner*innen im Pflegeheim die Wünsche von den Augen ab und erfüllen diese dann auch gleich.

Führungskräfte werden in empathischer Führung geschult. Sie verstehen und erfüllen die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen, um die Motivation zu steigern und sie an das Unternehmen zu binden. Empathie wird zur Sozialtechnik degradiert.


Durch den häufigen Gebrauch ist Empathie zu einer Wohlfühlformel und zu einem Containerbegriff geworden. Wenn jemand von Empathie spricht, frag nach, was gemeint ist.


Die Konstruktion eines Gegensatzes von Empathie und Professionalität schadet.

Der Begriff Empathie ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit banalisiert. Leider geschieht dies durch einzelne Einrichtungen, durch Verbände und auch durch Politiker*innen. Sie halten Empathie für eine Gabe, die ausreicht, um pflegebedürftige Menschen gut zu versorgen. Ein bisschen instrumentelles Training vielleicht noch und fertig ist die perfekte Pflegeassistentin.

Leider wird von Teilen der Pflegewissenschaft und der organisierten Pflege nicht etwa die Banalisierung der Empathie bekämpft, sondern der Begriff an sich. Empathie wird als „Herzi-Herzi-Pflege“ verunglimpft, die der Professionalisierung des Berufs entgegensteht.

Dabei wird übersehen, dass Empathie als zentraler Baustein des Pflegeberufs Teil seiner Professionalität ist und genauerer Untersuchung und Weiterentwicklung bedarf. Gute Ansätze dazu gibt es aus der Arbeitssoziologie.


Professionalisierung von Empathie ist ein zentraler Baustein der Professionalisierung des Pflegeberufs.


Die Professionalisierung von Empathie ist eine präventive Maßnahme für die beruflich Pflegenden selbst

Beruflich Pflegende begegnen in ihrem Alltag in schneller Folge Menschen mit unterschiedlichsten Gefühlen. In dem einen Zimmer ist ein Patient gerade wütend, weil die Organisation seiner Behandlung nicht funktioniert, im nächsten Zimmer weint eine Patientin, weil ihre Therapie nicht anschlägt, im dritten Zimmer begegnet sie einer Frau, die Angst vor der Chemotherapie hat, während der Patient im vierten Zimmer gerade Freudentränen über den Erfolg derselben Therapie vergießt.

Um diesen ständigen Ansturm von Gefühlen zu bewältigen, kommt ein Mechanismus in Gang, der die schnelle Regulation der fremden und der eigenen Gefühle ermöglicht – die pseudo-empathische Reaktion. Mit Trost-, Aufmunterungs- und Motivationsformeln, wie „Kopf hoch, sie schaffen das schon“ oder „Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus“ schaffen die Pflegenden dann Distanz zwischen sich und den Gefühlen der Patient*innen. Pseudo-empathische Reaktionen sind im Alltag etwas ganz Normales, wir alle nutzen sie, wenn uns die Gefühle anderer Menschen überfordern. Sie gehen aber auch mit der Erfahrung einher, nicht authentisch zu sein, die Situation nicht wirklich bewältigt zu haben. Im beruflichen Kontext, in dem das häufig vorkommt, hat das auf Dauer negative Auswirkungen auf das Selbstwirksamkeitserleben der Pflegenden. Eine negative Spirale kommt in Gang, die bis in den Coolout führen kann Durch gezieltes Training lässt sich das umkehren.


Reflektierte Empathie verhindert den dysfunktionalen Gebrauch von Empathie und wirkt präventiv.


Reflektierte Empathie befähigt beruflich Pflegende ihre Bedürfnisse zu verfolgen.

Kürzlich las ich, dass sich beruflich Pflegende mit ihrer Bedürftigkeit nach Wertschätzung selbst im Weg stehen und deshalb ihre Interessen nicht verfolgen. Es liegt ein Körnchen Wahrheit in dieser Aussage. Aber es ist nicht das Bedürfnis nach Wertschätzung selbst, das den Pflegenden im Weg steht. Eher der Wunsch vorzugsweise Vorgesetzte oder Ärztinnen und Ärzte sollten Wertschätzung und Anerkennung auf eine ganz bestimmte Art und Weise zeigen. Das werden sie aber nur dosiert tun, weil sie sehr genau spüren, dass sie Pflegende mit dosiertem Lob viel besser in emotionaler Abhängigkeit halten können. Paulo Freire hat sehr überzeugend beschrieben, wie diese Mechanismen wirken.

Der professionalisierte Umgang mit Empathie schließt die Reflexion der eigenen Gefühle und Bedürfnisse ein, auch emotionale Abhängigkeitsverhältnisse. Beruflich Pflegende, die ihre Gefühle und Bedürfnisse gut kennen, erarbeiten sich auch Wege der Unabhängigkeit von anderen Personen oder Funktionen. Sie werden freier, unbequemer und sie bleiben eher gesund.  


Der reflektierte Umgang mit Empathie führt aus Abhängigkeit und erlernter Hilflosigkeit.


Literatur zum Thema


Fritz Böhle, Margit Weihrich

Das Konzept der Interaktionsarbeit


Victoria Schönefeld

Pseudo-Empathie - Theorieentwicklung und empirische Beiträge


Paulo Freire

Pedagogy of the Oppressed


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