top of page
Autorenbild[LT]

Was ist denn eigentlich Empathie?


Foto mit Ludwig Thiry, daneben der Text, Herr Thiry, was ist denn eigentlich Empathie?

Die Benutzung des Wortes Empathie ist in Gesundheitsberufen vielfältig und diffus. Sie erscheint als eine Eh-Da-Gabe, über die beruflich Pflegende in unerschöpflichem Maße verfügen. Die Empathiekonzepte reichen von Freundlichkeit über Verständnis bis hin zu Mitfühlen und prosozialem Verhalten. Menschen in Gesundheits- und Sozialberufen tun schließlich nichts lieber als anderen zu helfen, die sie anschließend mit einem Lächeln belohnen.


Da kann man auf die Idee kommen, Seminare und Fortbildungen anzubieten, die Pflegende noch etwas empathischer machen. Oder Pflegende, die durch unhöfliches Verhalten oder gar Aggression aufgefallen sind, in ein Empathieseminar zu schicken. Das geschieht tatsächlich und ist immer eine Herausforderung für die Seminarleitung. Denn empCARE ist kein Seminar, mit dem wir Teilnehmer*innen noch empathischer machen wollen.


Beruflich Pflegende haben fast immer viel Empathie

Beruflich Pflegende verfügen in aller Regel über ein hohes Maß an Empathie. Die Arbeitsbedingungen widersprechen allerdings immer mehr dem mentalen Modell der stets zugewandten, freundlichen und hilfsbereiten Schwester. Unter diesem Widerspruch werden die natürlichen Schutzmechanismen gegen eine emotionale Überlastung immer dominanter und führen schließlich in die Entfremdung von sich selbst, bezeichnet als Burnout oder in der Pflege als Coolout. Seminare, in denen Empathie als Freundlichkeit oder prosoziales Verhalten verstanden werden, sind dann kontraproduktiv.


Und welches Empathiekonzept hat empCARE?


Empathie ist die Fähigkeit, die emotionale Situation eines anderen Menschen zu erkennen, zu verstehen und mitzufühlen. Dabei muss gleichzeitig ein Bewusstsein dafür bestehen, dass die mitgefühlten Emotionen empathisch übertragen sind, also der Ursprung dieser Emotionen in der anderen Person liegt. (Altmann 2015)

Erkennen, Verstehen, Mitfühlen - die Komponenten des empCARE- Empathie-Konzepts


Erkennen

Dem Erkennen geht das Wahrnehmen voraus. Wir sehen etwas, wir hören etwas. Körperhaltung, Mimik, Stimme geben Hinweise auf Gefühle. Stärker als bei anderen spielt bei beruflich Pflegenden der Tastsinn eine Rolle, denn sie berühren ihre Patient*innen. Sie nehmen Verspannungen wahr, ein leichtes Zucken hier, Schlaffheit von Muskeln dort. Alles Hinweise auch auf die Gefühlslage.


Empathische Menschen können die emotionale Situation einer anderen Person gut einschätzen, aber nicht sicher. Unsere Wahrnehmung wird durch unsere Haltungen, Werte, Vorerfahrungen, Teamkulturen und durch öffentlich stark diskutierte Themen beeinflusst. In den empCARE-Seminaren machen wir Reflexionsübungen, bei denen die Teilnehmer*innen erleben, wie stark diese Verzerrungseffekte sind.


Bei der Entwicklung von technischen Assistenzsystemen für die Langzeitpflege sollte evaluiert werden, inwiefern die Zahl der anlasslosen Kontakte dadurch reduziert wird. Die Wahrnehmung eines Menschen, die Beziehung zu ihm kann sich verändern, wenn die Pflegenden vor allem Kontakt mit ihm haben, wenn ein Problem vorliegt.


Verstehen

Das Verstehen beschreibt die kognitive Komponente der Empathie. Menschen können das Gefühl benennen, das sie bei einer anderen Person wahrnehmen und sich vorstellen, warum die Person dieses Gefühl hat. Aber Achtung, daraus lässt sich noch nicht direkt ableiten, was die Person braucht oder möchte. Der unvermittelte Hilfeimpuls kann von der anderen Person auch als Übergriff verstanden werden. In der beruflichen Pflege wird dieses vermeintlich empathische Verhalten als regelorientierte, expertokratische Fürsorge (Klimasch 2021, 243 ff) bezeichnet. Sie ist kein professionell-reflektierter Umgang mit der eigenen Empathie.

Ein Film veranschaulicht, was gemeint ist: https://youtu.be/nmh6h-ObaSc


Mitfühlen

Empathische Menschen fühlen die gleiche oder eine ähnliche Emotion, wie die Person, mit der sie empathisch sind. Das ist aber nur die eine Seite. Wir reagieren auch mit eigenen Gefühlen auf die Gefühle der anderen Person. Wir können zum Beispiel von der Wut eines Gegenübers überrascht sein oder eingeschüchtert. Wir können uns durch starke Trauer einer anderen Person überfordert oder hilflos fühlen. Je nach Situation und eigenen aktuellem Erleben kann die große Freude einer anderen Person Mitfreude auslösen oder vielleicht Neid.


Beim Erkennen, Verstehen und Mitfühlen wissen die empathischen Menschen immer, dass die erkannten, verstandenen und mitgefühlten Emotionen nicht die eigenen sind, sondern ihren Ursprung in der anderen Person haben. In der Psychologie wird das die Selbst-Andere-Differenzierung genannt. Findet sie nicht statt, handelt es sich um eine Gefühlsansteckung.


Da fehlt doch was?

Fällt Ihnen etwas auf? Bis hierhin war keine Rede von Verhalten oder Handeln. Empathie in der Definition, die wir für empCARE nutzen, ist nicht handlungsbezogen. Sie umfasst nicht die Reaktion auf die Gefühle einer anderen Person, hat erst einmal nichts mit Hilfsbereitschaft oder Zuwendung zu tun. Empathie ist keine moralische Kategorie, es bleibt in unserer Definition offen, ob sie im Einzelfall zu prosozialem Verhalten oder zu Manipulation genutzt wird.

Ob es zu einer Reaktion kommt, wie sie aussieht, ob wir helfen oder uns lieber abwenden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Von denen schreibe ich ein anderes Mal.


Literatur zum Thema

Tobias Altmann 2015: Empathie in sozialen und Pflegeberufen. Springer Wiesbaden


Gerlinde Klimasch 2021: Pflegerische Empathie (lernen) – Sichtweisen von Pflegelernenden. Eine longitudinale qualitative Interviewstudie. URL: https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/5932


Comments


Commenting has been turned off.
bottom of page